Es war mir eine Ehre Dienstag, 09.04.2024 Mein Brief an die Mitglieder (PDF) Liebe Freund*innen, es ist mir eine große Ehre, aber irgendwann ist auch mal gut. Ich habe mich entschieden bei der nächsten Bundestagswahl nicht erneut zu kandidieren. Demokratie lebt vom Wechsel und für mich war immer klar, dass mein Mandat auf Zeit ist. Ich habe Lust auf etwas Neues und werde gleichzeitig mein Mandat gewissenhaft und mit Leidenschaft bis zum Ende erfüllen. 2025 werde ich seit 16 Jahren Mitglied des Bundestages und Mitglied im Haushaltsausschuss sein. Vor allem bin ich eins nach dieser langen Zeit: Dankbar. Dankbar für die Wähler*innen in Niedersachsen und Hannover, die mir so oft ihr Vertrauen geschenkt haben. Dankbar für das beste grüne Wahlergebnis bei einer Bundestagswahl in Niedersachsen, bei der ich mich als Spitzenkandidat einbringen durfte. Dankbar für meine Partei und meinen Regionsverband Hannover, die mich mehrfach nominiert haben, und für die vielen tollen Ehrenamtlichen, mit denen ich im Wahlkampf auf der Straße war. Dankbar für die gute Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen aller demokratischen Parteien im Hohen Haus, sowohl in der Opposition als auch in der Regierungskoalition. Und ich bin meinem Team dankbar, mit dem ich das große Glück habe so motiviert, vertrauensvoll und qualitativ hochwertig gemeinsam für eine bessere Welt zu streiten. Ohne sie wäre das alles nie möglich gewesen und das erfüllt mich mit Demut und unglaublichem Dank. Ich habe als Abgeordneter vieles erreicht, was ich mir vorgenommen habe. 2014 hat mich meine Fraktion mit erst 29 Jahren zum Sprecher für Haushaltspolitik gewählt, den ich jetzt seit zehn Jahren ausfüllen darf. Für mich der beste Job im Parlament, den zudem davor noch nie ein Mitglied der parlamentarischen Linken der grünen Bundestagsfraktion inne hatte. Für dieses riesengroße Vertrauen meiner Kolleg*innen in der Fraktion, mit denen ich seit so vielen Jahren inhaltlich tiefgehend zusammenarbeiten darf, empfinde ich eine tiefe Dankbarkeit. Ich bin Parlamentarier durch und durch und habe den Bundestag nie als Sprungbrett für einen Regierungsposten gesehen. Das Parlament ist die erste Gewalt und wird doch häufig unterschätzt. Ich leite zu meiner großen Freude seit vielen Jahren die Arbeitsgruppe Haushalt meiner Fraktion in einem der wichtigsten Ausschüsse im Deutschen Bundestag. Im Haushaltsausschuss üben wir stellvertretend für das Volk das sogenannte Königsrecht aus: das Recht über das Geld des Staates zu entscheiden. Es ist eines der ältesten Rechte, das sich Parlamente in der Geschichte erkämpft haben. Deswegen wollte ich 2009, als ich in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, unbedingt in den Haushaltsausschuss. Denn ich wusste aus meinem BWL-Studium und der Arbeit im Unternehmenscontrolling: Wo das Geld ist, ist die Macht. Und ich wollte Macht. Nicht aus Selbstzweck heraus oder für mein Ego, sondern um konkret einen Unterschied, und diese Welt ökologischer, gerechter und friedlicher zu machen. Mein Anspruch war und ist es die Welt zu verbessern. Insbesondere die starre Schuldenbremse, die gerade zu meiner Anfangszeit eingeführt war, war mir ein Dorn im Auge. Ich befürchtete, dass sie wichtige Investitionen in die Zukunft bremsen und in Krisenzeiten zu unflexibel sein würde. Diese Position war damals nicht Mainstream in der grünen Bundestagsfraktion, und ich konnte dazu beitragen das zu verändern. Wir haben in meiner Zeit als Sprecher für Haushaltspolitik einen klaren Kurs für Investitionen gefahren und die Regierung dementsprechend getrieben. 2021 haben wir dann im Wahlprogramm eine Reform der Schuldenbremse im Grundgesetz beschlossen, um zukünftig Investitionen über Kredite zu finanzieren. So wie es politisch und ökonomisch sinnvoll ist und wie es auch jedes Unternehmen macht. Ich freue mich sehr, dass inzwischen die überwältigende Mehrheit der Ökonom*innen in Deutschland (international versteht sowieso kaum jemand die rigiden deutschen Fiskalregeln), große Teile der Wirtschaft sowie die SPD und viele CDU-Ministerpräsidenten eine Veränderung der Schuldenbremse befürworten. Die aktuellen Schuldenregeln müssen sich ändern, damit diese Gesellschaft eine gute Zukunft hat. Dafür werde ich mich weiter stark machen. Und ich hoffe, dass wir noch in dieser Legislaturperiode, spätestens aber in den nächsten Koalitionsverhandlungen den Knoten durchschlagen werden. Trotz der aktuell noch bestehenden Schuldenbremse und der unterschiedlichen finanzpolitischen Positionierungen der drei Ampel-Parteien konnten wir die Investitionen gegenüber der Vorgängerregierung massiv steigern. Wir investieren so viel wie noch nie in die Wärmewende, die Schieneninfrastruktur, die Dekarbonisierung der Industrie, natürlichen Klimaschutz und vieles mehr. Das hätte ich vor der Legislaturperiode nicht gedacht und daher bin ich stolz, dass wir das mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung geschafft haben. Gleichzeitig ist der Investitionsstau riesig und die klimaneutrale Transformation die größte Aufgabe in der Moderne seit der Industrialisierung, weswegen wir eine deutlich höhere und dauerhaft verlässliche Finanzierung von öffentlichen Investitionen brauchen. Das wird auch eine der zentralen Aufgaben für den Bundeshaushalt 2025 ein, für die mich mit aller Kraft einsetzen werde. Eins möchte ich in diesem Zusammenhang betonen: Ich freue mich sehr über die freundschaftliche und inhaltlich kompetente Zusammenarbeit in der Sache im Haushaltsausschuss mit meinen beiden Sprecherkollegen von SPD und FDP. Das ist keine Selbstverständlichkeit in der Politik. Wir ringen um die Lösung von Problemen, manchmal auch hart. Aber am Ende kommen wir zu vernünftigen Kompromissen, die reale Probleme angehen. Nicht als kleinster gemeinsamer Nenner, sondern als sinnvolle Lösung in der Sache mit gemeinsamem Nutzen. Und ganz wichtig für uns ist in den Verhandlungen: Gegenseitige Grenzen akzeptieren und Gönnen können. Und dann gemeinsam Erfolge kommunizieren und nicht gegeneinander. So konnten wir in dieser Legislaturperiode unter anderem die Finanzierung von rund einer Milliarde Euro für das Forschungsschiff Polarstern II bereitstellen, klimaschädliche Subventionen abbauen, die aktive Arbeitsmarktpolitik sichern, die humanitäre Hilfe auf einem hohen Niveau sichern, die demokratische Zivilgesellschaft, die Freiwilligendienste und jüdisches Leben unterstützen, zivile Seenotrettung erstmalig fördern und den internationalen Klimaschutz stärken. Das waren einige der großen Dinge. Aber auch im Kleinen geht sehr viel. Im Haushalt 2024 konnten wir zum Beispiel für den Verband der Zirkuspädagog*innen eine kleine Summe zur Verfügung stellen. Ein im Gesamthaushalt verschwindend geringer Betrag, aber für die Kinder- und Jugendarbeit ein Beitrag, der sich nicht in Euro aufwiegen lässt. Insgesamt haben wir über 1.500 Änderungsanträge als Koalitionsfraktionen in drei Bundeshaushalten gestellt und so an vielen Stellen den Entwurf der Regierung verbessert und korrigiert. Die Größe eines Erfolgs spiegelt sich aber nicht immer in der Größe einer Zahl wider. Die wichtigste Änderung, die wir als Sprecher für Haushaltspolitik der Koalition erreichen konnten, war aus meiner Sicht das Verbot von Boni und Dividenden für Großunternehmen bei der Strom- und Gaspreisbremse. Wir hatten bei dieser Frage weder den Kanzler, den Vize-Kanzler noch den Finanzminister auf unserer Seite, doch das haben wir als Haushälter gegen den ursprünglichen Plan der Regierung im Parlament durchgesetzt. Das hat den Staat Milliarden gespart. Und so hat das Parlament in der Krise selbstbewusst finanzielle Vernunft und Solidarität gezeigt. Über viele kleine und größere Erfolge kann ich allerdings nicht sprechen. Denn sie waren nur möglich, weil wir im Vertrauen verhandelt haben. Haushaltspolitik ist ein Politikfeld, das die meiste Zeit im Maschinenraum und nicht im Rampenlicht stattfindet. Vieles funktioniert nur deshalb, weil wir nicht drüber reden, was wir und wie wir es geschafft haben. Am Ende zählt das Gesamtergebnis in der Sache, nicht die eigene Profilierung. Auch wenn die Zeit in der Koalition mit Sicherheit bisher die spannendste Erfahrung meines politischen Lebens ist, so war ich doch viel länger Teil einer tatkräftigen Oppositionsfraktion. Opposition ist nicht Mist, sondern unverzichtbar in einer Demokratie und manchmal wird vergessen, wie viel man auch aus dieser Position heraus erreichen kann. Wir haben die Ehe für Alle (Kommando Konfetti!) und den Atomausstieg nach Fukushima durchgesetzt. Opposition im Haushaltsausschuss bedeutet vor allem: Regierung kontrollieren und mit Kritik in der Sache versuchen etwas zu verändern. Neben dem Vorantreiben der Investitionsagenda ging es mir als ehemaliger Controller vor allem um das Aufdecken und Verhindern von Geldverschwendung. Dafür muss man viel buddeln, um die Ecke denken und gut vernetzt sein mit Journalist*innen, Wissenschaftler*innen und Whistleblower*innen. Alleine dem letzten CSU-Verkehrsminister habe ich in seiner Amtszeit genau 1.572 Anfragen über den Haushaltsausschuss gestellt (wobei die Antwortqualität deutlich schwankte). Von dieser Arbeit hat auch das eine oder andere Satiremagazin profitiert. So konnte ich mit meinen Fragen die Grundlage für die Aufdeckung des PKW-Maut-Skandals legen oder aufzeigen, wie exorbitant die Profite für Bauunternehmen und Banken bei Öffentlich-Privaten-Partnerschaften im Straßenbau sind – zu Lasten der Steuerzahler*innen. Ein besonderer Erfolg war das Enthüllen und das Verhindern der Privatisierungspläne für die Autobahnen. Gemeinsam in einem breiten Bündnis mit der Zivilgesellschaft, Wissenschaft, der Koalition und uns im Haushaltsausschuss haben wir es 2017 geschafft den Plan der Regierung die Autobahnen zu privatisieren zu durchkreuzen. Unser Druck aus der Opposition, die hunderten Anfragen im Haushaltsausschuss und die Veröffentlichung von Privatisierungsgutachten konnten am Ende einen entscheidenden Unterschied machen. Am Anfang meiner Zeit im Bundestag, wütete die Finanzkrise in Europa. Ich habe mich mit Leidenschaft gegen die Austeritätspolitik der damaligen Bundesregierung eingesetzt. Als glühender Europäer liegt mir der Zusammenhalt auf unserem Kontinent am Herzen. Ich bin daher froh, dass wir verhindern konnten, dass Griechenland aus der Eurozone geworfen wurde, auch wenn die Bedingungen dafür, bei allem notwendigen Reformbedarf, ökonomisch und sozial verheerend waren. Später in der Corona-Pandemie hat Europa – auch durch grünen Druck – aus den sozialen und politischen Verwerfungen der Finanzkrise gelernt und zusammengehalten. Nachträglich hat uns das Bundesverfassungsgericht außerdem Recht gegeben, dass die damalige Bundesregierung 2015 auf dem Höhepunkt der Griechenlandkrise unsere parlamentarischen Rechte eklatant verletzt hat. Das ging auf eine Klage zurück, die ich mit dem damaligen europapolitischen Sprecher unserer Fraktion initiiert habe und die dauerhaft die demokratischen Rechte des Bundestages in europäischen Fragen gestärkt hat. All politics is local. Politik findet nicht nur im Regierungsviertel statt. Das war mir immer wichtig. Hannover ist seit 39 Jahren mein zu Hause. Deswegen war und ist es eine besondere Ehre mich für diese großartige Stadt im Deutschen Bundestag stark machen zu dürfen. Das Feedback vor Ort in Hannover und im Heidekreis haben mich immer geerdet und mir neue Impulse gegeben. Wir konnten gemeinsam vor Ort viel bewegen. Im Heidekreis habe ich mich unter anderem gegen Fracking, Nazis und für Lärmschutz beim Schienenausbau eingesetzt. Mit Bauinvestitionen des Bundes, für die ich mich im Haushaltsausschuss eingesetzt habe, wird in Hannover der Neubau des Fössebads, die Marktkirche, die Gedenkstätte Ahlem und das Kesselhaus unterstützt. Besuche in Pflegeheimen, Kitas, Schulen, Krankenhäusern, Religionsgemeinschaften, Flüchtlingsunterkünften, Tafeln, Industriefabriken, auf Bauernhöfen, bei Unternehmen, sozialen Einrichtungen, in der Natur und viele weitere haben meinen Einsatz vor Ort geprägt. Ich bin so dankbar für die Begegnungen mit so vielen tollen, engagierten Menschen, die ich in meiner Arbeit vor Ort kennenlernen durfte. Das gilt auch für die vielen zahlreichen Veranstaltungen, die mein Team und ich auf die Beine gestellt haben, wie z.B. Hip-Hop-Konzerte, Hate-Slams, Lesungen, Kindlers Kiosktour, Jung und Älter – zusammen in der Politik, Kinofilme, Fußballturniere, Radtouren, Podiumsdiskussionen, Kaffeeklatsch mit Kindler, Café Berlin. Das alles hat mir mega Spaß gemacht und die politischen Debatten, die sich dabei entwickelten, haben mich bewegt. Dieser Input, dieser Perspektivwechsel hat mir immer geholfen, grundsätzlich über politische Fragestellungen nachzudenken, sie zu hinterfragen und neu zu reflektieren. Seit ich im Bundestag bin, nahmen zudem über 2.500 Menschen aus der Region Hannover und dem Heidekreis auf meine Einladung hin an politischen Bildungsfahrten nach Berlin teil, um den Bundestag zu besuchen. Zusätzlich habe ich rund 3.000 Schüler*innen aus Berufsschulen, Förderschulen, Realschulen, Gymnasien und Gesamtschulen nach Berlin eingeladen. Es war und ist für mich immer wieder sehr inspirierend, über meine Besucher*innengruppen mit verschiedensten Menschen in den Dialog zu kommen. Ich bin mit Leidenschaft Abgeordneter, gleichzeitig war mir die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, der Umweltbewegung, Gewerkschaften oder antifaschistischen Initiativen ein zentraler Teil meines Engagements. Parlament und Protest sind aus meiner Sicht keine Gegensätze, sondern ergänzen sich. Ohne Kritik von unten, ohne lautstarken Einspruch fehlt, insbesondere angesichts der Übermacht der profitorientierten Lobbys im Regierungsviertel, der Druck für progressive Veränderungen. Deswegen habe ich auch mit meinem Büro z.B. Demonstrationen gegen Nazi-Aufmärsche unterstützt, habe mich an Aktionen gegen Antisemitismus und Rassismus beteiligt, war solidarisch mit Streiks für Arbeitsrechte und habe gewaltfrei den Castortransport im Wendland blockiert. Viele Jahre war ich Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und ich engagiere mich auch weiterhin für den Austausch zwischen beiden Ländern. Natürlich gibt es auch einiges das mir nicht geglückt ist. Seit Beginn meiner Zeit in Berlin habe ich mich für ein Mitte-Links-Bündnis engagiert. Zentrales Ziel war die notwendige Umverteilung des Reichtums von oben nach unten. Das hat nicht geklappt. Und in diesen Zeiten fehlt diese Perspektive schmerzhaft. Es braucht Bündnisse und Koalitionen, die über das Bestehende hinausblicken. Vor allem angesichts der vielen Verwerfungen in Zeiten der Polykrise von globaler Ungleichheit, Klimakatastrophe, dem Erstarken von faschistischen Kräften, Kriegen und Wettrüsten. Als politischer Linker und Umweltbewegter weiß ich, dass der Kapitalismus, angesichts der Ausbeutung von Mensch und Natur, nicht das Ende der Geschichte ist. Es gibt noch viel zu tun für eine Gesellschaft und Ökonomie, die im Einklang mit den Grenzen des Planeten und den Bedürfnissen der Menschen steht. Das Mandat im Bundestag ist ein großes Privileg mit sehr vielen tollen Möglichkeiten, die nicht viele Menschen haben. Das ist mir als Arbeiterkind bewusst und für dieses Vertrauen der Bevölkerung bin ich sehr dankbar. Gleichzeitig habe ich in den letzten Jahren auch gespürt, wie stark die Erfüllung dieser Aufgabe nicht nur mich, sondern auch meine Familie beansprucht. Ich versuche zwar oft Zeit freizuschaufeln, um Verantwortung für meine Kinder zu übernehmen, doch der Großteil der Care-Arbeit lag und liegt bei meiner Frau. Das ist nicht gerecht und das will ich zukünftig besser machen. Was kommt nach dem Bundestag? Mehr Zeit für Familie, für Fußball, und ich will mit Ruhe und etwas Abstand überlegen, was danach kommt. Ich kenne mich mit Menschen, Zahlen und Macht aus und diese Erfahrung möchte ich gerne für soziale und ökologische Anliegen einsetzen. Auch als einfacher Bürger werde ich ein politischer Mensch bleiben, der sich einmischen wird. Weil unsere Welt das braucht, von uns allen. Liebe Grüße Euer Sven